Am 29. Oktober 1923 begann der deutsche Rundfunk offiziell zu senden. Aus diesem Anlass erschien im Herbst 1998 in „104komma6”, der Programmzeitung von Radio Okerwelle, folgende dreiteilige Geschichte des Radiobetriebes.

Foto oben von Maximilian Schönherr via Wikipedia under the Creative Commons License.

 

 

Titelseite ProgrammzeitungMit 350 Milliarden live dabei

1. Teil: Die Anfänge deutschen Rundfunks

Offizieller Hörer der ersten deutschen Radiosendung zu werden, war nicht leicht, betrug die Rundfunkgebühr doch 350 Milliarden Reichsmark. Und so gab es denn auch nicht einen einzigen eingetragenen Empfänger, als Violine und Klavier am 29. Oktober 1923 um 20 Uhr das Eröffnungskonzert in der Sendestelle Berlin bestritten. Die Zahl der so genannten „Zaungäste”, wie die Schwarzhörer aus dem Feld der Funkamateure damals genannt wurden, dürfte allerdings beträchtlich gewesen sein.

Der Beginn deutscher Rundfunkgeschichte fiel in die denkbar ungünstigste Zeit der Inflation, die Ende 1923 ihrem Höhepunkt entgegenstrebte. Im November mußten bereits schwindelerregende 3,5 Billionen Mark Rundfunkgebühr entrichtet werden, was sich bis zum 1. Dezember 1923 exakt 467 Hörer leisten wollten und konnten. Inflationsbereinigt waren das immerhin 60 Mark Jahrespauschale – doppelt so teuer wie das Abonnement einer Tageszeitung.

Bezahlt wurde die Rundfunkgebühr bar beim Briefträger. Obwohl die ersten regionalen Rundfunksender ursprünglich private Gesellschaften waren, wollte der Staat die Kontrolle behalten. „Die Zahl geheimer Funkanlagen ist in stetiger Zunahme begriffen”, meldete der Postminister besorgt: „Das Bestehen solcher Anlagen gefährdet ernstlich die Sicherheit des Staates und der öffentlichen Ordnung, da sie für staatsumstürzlerische Kreise die Möglichkeit bieten, sich ein umfassendes geheimes Nachrichtennetz zu schaffen”. Mit den „geheimen Anlagen” waren übrigens die Empfangsgeräte gemeint, nicht etwa Sendeanlagen. Dass sich ein neues Medium dem staatlichen Zugriff entzog, verstörte Politik und Verwaltungsapparat (aktuelle Parallelen zum Internet lassen grüßen).

Als besonders abschreckendes Beispiel galten die USA. Dort hatte sich schon einige Jahre früher „eine ganz ungewöhnliche Abart der drahtlosen Telephonie” (O-Ton Reispostministerium 1922) sein Publikum erobert. Das deutsche Ministerium stellte entsetzt fest, dass in den Vereinigten Staaten Menschen Radio hörten, „ohne hinsichtlich des Bezugs der Mitteilungen in irgend welchem Vertragsverhältnis zu der Sendestelle zu stehen”. In den USA gebe es „mangels gesetzlicher Vorschriften keinerlei Hemmungen”, was, na klar, „auch schon zu chaotischen Zuständen geführt hat”.

Soweit kam es im ordentlichen Deutschen Reich mit seiner Ministerialbürokratie natürlich nicht. Hören und Senden waren von Anbeginn strengen Zielen, Regeln und Kontrollen unterworfen. Dabei wurden lange Zeit die inhaltlichen Möglichkeiten des Mediums glatt übersehen. Nachrichten wurden in den Anfangsjahren lediglich aus der Zeitung verlesen, eigene Reporter gab es nicht. Immerhin wurden schon nach wenigen Monaten Sendebetrieb aktuelle Einzelhandelspreise, der Wetterbericht sowie Börsendaten verlesen.

Mit Erholung der Wirtschaft setzte schon ab 1924 in allen größeren Städten der Boom ein. Die Geräte kosteten nur noch halb soviel, die Gebühren sanken um über die Hälfte auf monatlich zwei Mark – soviel kostete der Empfang übrigens 45 Jahre lang, bis Ende 1969.

Firmen, die Rundfunkempfänger herstellten, schossen wie Pilze aus dem Boden. Anfangs erinnerten diese Geräte noch stark an die Empfänger der Amateurfunker: Zum Hören setzte man Kopfhörer auf, Lautsprecher waren noch teurer Zubehör. Eingesetzt wurden anfangs so genannte Detektorenempfänger, die nur in direkter Nähe zum Sender funktionierten und daher auf dem Lande unbekannt blieben.

Anfang 1926 – die erste Million Hörer war erreicht – hielten die Röhrenempfänger Einzug in die Wohnzimmer. Deren Reichweite war wesentlich größer; sie ließen sich auch an die heimische Steckdose anschließen und brauchten keine teuren umständlichen Batterien mehr. Außerdem verschwanden die unpraktischen Kopfhörer; Radiohören konnte zum gemeinsamen Familienerlebnis werden. Trotzdem war Ende der Zwanziger Jahre erst ein Dittel des Deutschen Reiches mit Rundfunkempfang versorgt. Radiohören blieb eine Vorliebe der Städter: Bis 1930 gab es landesweit 8114 Funkhändler, davon allein 1467 in der Hauptstadt Berlin.

 

“16.00 Uhr: Die Wehrmacht singt”

2. Teil: Der Rundfunk unter den Nationalsozialisten

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler von der rechts-konservativen Weimarer Koaltionsregierung zum Kanzler ernannt. Die NSDAP marschierte mit einem Fackelzug an der Reichskanzlei vorbei und der Rundfunk übertrug live.

Der Reporter ließ sein Publikum wissen, Hitler stehe „mit todernstem Gesicht am Fenster, er ist eben aus seiner Arbeit herausgerissen, keine Spur von irgendwelcher Siegesstimmung oder dergleichen, eine ernste Arbeitsstimmung, die auf seinem Gesicht liegt. Er ist eben unterbrochen worden. Und doch leuchtet es in seinen Augen über dieses erwachende Deutschland, über diese Massen von Menschen aus allen Ständen, aus allen Schichten der Bevölkerung, die hier vorbeimarschieren, Arbeiter der Stirn und der Faust; alle Klassenunterschiede sind verwischt.”

Die Begeisterung mußte der Reporter nicht spielen: Wulf Bley, der für den Rundfunk sprach, war selbst SA-Sturmführer. Später kam die Legende auf, die NSDAP habe sich das deutsche Radio in dieser Nacht „erobert”. Tatsächlich aber hatte der Berliner Sendeleiter – auch er NSDAP-Mitglied – die Übertragung ganz normal beantragt. Die Intendanten der Rundfunkanstalten und die zuständigen Reichs-Beamten hatten zugestimmt, die Post hatte Leitungen und Technik bereitgestellt.

Die NSDAP mußte sich das Radio nicht erobern, weil schon ab Mitte der Zwanziger Jahre Strukturen geschaffen worden waren, die zentralistische Steuerung und Zensur begünstigten. Regionale Sender besaßen ihre Selbständigkeit nur auf dem Papier, in Wahrheit waren sie der Wirtschaftsaufsicht der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft unterstellt. Diese gehörte zu 51 Prozent der Post, zu 49 Prozent den Ländern Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden und Hamburg. In der Gesellschaft saßen überwiegend Beamte der Finanzämter in Überwachungsausschüssen, die schon lange vor der Machtübernahme der Nazis zu einer Vorzensur übergegangen waren. Formal sollte das Radio politisch neutral sein, tatsächlich wurde nur die Opposition vom Medium ferngehalten. Als sich Anfang der 30er Jahre die Wirtschaftskrise immer weiter verschärfte, nutzten zunehmend Minister und Regierungssprecher das Radio, um in langen Monologen ihre Sicht der Lage zu verkünden. Dies wuchs sich bereits 1932 zu halbstündigen Regierungssendungen aus.

Hitler musste als Kanzler daher nur konsequenter fortsetzen, was seine Vorgänger begonnen hatten. Und die NSDAP handelte konsequent: Zuerst entfernte sie alle als links und liberal eingestuften Intendanten, Direktoren, Redakteure sowie Techniker aus dem Funkbetrieb. Dann folgten die konservativen Kollegen, deren rechte Gesinnung zweifelhaft schien. Die systematische Entfernung jeder Opposition wurde dadurch erleichtert, dass viele Berufsverbände aus Angst schwiegen, mitunter aber auch aus vorauseilendem Gehorsam zu Diensten waren. So konnte Eugen Hadamovsky, Vorsitzender des NS-„Reichsverbandes Deutscher Rundfunkteilnehmer”, auf einer Verbandstagung ganz offen über den ehemaligen Reichs-Rundfunkkommissar spotten: „Herr Dr. Bredow hat telegraphiert, er möchte auch in ein Konzentrationslager. Der Mann will Urlaub haben (Gelächter). Ich glaube, meine Volksgenossen und Volksgenossinnen, wir können Herrn Dr. Bredow eine Antwort geben: Wenn Sie das wollen, dann ist es überflüssig, dass Sie ein Telegramm schicken; melden Sie sich bitte morgen früh um sechs Uhr bei dem Lagerkommandanten in Oranienburg!” Ironie der Geschichte: Bevor Bredow sein Abschiedsgesuch einreichte, hatte er noch mitgeholfen, KPD-Mitglieder aus dem Rundfunk zu entfernen.

Schon 1933 hatten die regionalen Rundfunkgesellschaften ihre Anteile der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft überschreiben müssen, 1934 wurden sie zum „Reichssender” zusammengeschlossen. Funkindustrie, Gerätehersteller, Rundfunk-Zeitschriften – wer immer mit dem Radio zu tun hatte, musste der „Reichsrundfunkkammer” beitreten. Nicht-Mitgliedschaft kam einem Berufsverbot gleich. 1935 wurde der linientreue „Reichsverband Deutscher Rundfunkteilnehmer” aufgelöst – die Hörermeinung war sowieso nicht mehr gefragt. Stattdessen versuchte der nationalsozialistische Staat, das Publikum durch niedrige Geräte-Preise zu gewinnen. Der noch 1933 auf den Markt gekommene Volksempfänger VE 301 kostete mit 76 Reichsmark nur die Hälfte herkömmlicher Radiogeräte. Später sank der Preis auf 65 Reichsmark, ein einfaches Modell namens „Deutscher Kleinempfänger” folgte 1938 sogar für nur 35 Reichsmark.

Der Rundfunk sollte in jede Wohnung dringen, denn das Medium hatte ein staatliches Ziel bekommen: die Kriegsvorbereitung. Das Programm fiel entsprechend aus, Beispiel 13. März 1938:

9.00 Uhr politische Morgenfeier

9.45 Uhr Kriegsdichter erzählen

10.00 Uhr Treue um Treue

10.30 Uhr Ewiges Deutschland, Vortrag des Leiters der Gau-Schuluingsburg Kronburg der NSDAP

15.00 Uhr Ein Kämpfer aus dem Krieg berichtet

15.45 Uhr Uns formet der Krieg

16.00 Uhr Die Wehrmacht singt

16.50 Uhr Sudetendeutsche Märsche

17.05 Uhr Blasmusik aus sieben deutschen Kriegen

18.00 Uhr Vom Leben und Sterben eines deutschen Offiziers

19.10 Uhr Die Treue, eine Kriegserzählung

20.00 Uhr Vermächnis der grauen Front

Als Deutschland eineinhalb Jahre später mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg begann, war der Radiohörer also bestens vorbereitet…

Mit dem ersten Kriegstag trat eine „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen” in Kraft, welche das Abhören ausländischer Sender verbot. Sowjetische Sender hatte man bereits seit 1934 nicht mehr empfangen dürfen. Bis 1943 wurden 3450 Menschen verurteilt, weil sie es gewagt hatten, ihr Empfangsgerät auf nicht-deutsche Sender einzustellen. Ausnahmegenehmigungen gab es nur für wenige Funktionäre, nicht einmal alle Minister besaßen das Privileg. Juden und Ausländer durften ab Kriegsbeginn gar kein Radio mehr besitzen.

Der Rundfunk wurde von allen am Krieg beteiligten Staaten als Waffe eingesetzt. Entweder gab man sich ganz offen als „Feindsender” zu erkennen oder man versuchte, das gegnerische Radio zu imitieren. Während des deutschen Feldzuges gegen Frankreich gaben sich beispielsweise drei in Saarbrücken stationierte Geheimsender als französische Programme aus und verbreiteten Gerüchte und Falschmeldungen. Flüchtlingsströme sollten so gelenkt werden, dass sie die gegnerischen Streitkräfte behinderten. An der Organisation solcher Sender beteiligt war übrigens auch als stellvertretender Leiter der rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes der Jurist Kurt Georg Kiesinger, später kurze Zeit Kanzler der Bundesrepublik.

Mit der Dauer des Krieges perfektionierten die Funker ihren Wellen-Krieg. Die Sowjets sendeten eine „Geisterstimme”, die auf der Wellenlänge des deutschen Programms gesendet wurde und mit Zwischenrufen die offiziellen Nachrichten störte. Verkündete der deutsche Sprecher beispielsweise „Zum Feindflug auf England starteten deutsche Kampfflugzeuge…”, fragte die Stimme „Ist einer zurückgekommen?”

Am 1. September 1944 wurden Zeitschriften und die Buchproduktion eingestellt, Theater und Kunstausstellungen mußten schließen, Zeitungen wurden zu knappen Notausgaben zusammengelegt. Hitlers Erlass „über den totalen Kriegseinsatz”, der die sich abzeichnende Niederlage so weit wie möglich hinauszögern sollte, brachte die Reste von Kultur zum Erliegen. Das Radio blieb als letztes großes Propaganda- wie Unterhaltungsmedium erhalten. Radiohören wurde überlebenswichtig, weil Luftlagemeldungen die heranfliegenden Bomberverbände meldeten. Damit diese Meldungen nicht von Feindsendern gestört werden konnten, wurde der Drahtfunk eingerichtet, die erste große Verkabelung Deutschlands. Überlegungen, alle alten Empfangsgeräte gegen solche auszutauschen, die nur noch den staatlichen Drahtfunk empfangen konnten, ließen sich aber vom zusammenbrechenden Reich nicht mehr realisieren. Am 25. April 45 schloss die Rote Armee ihren Ring um Berlin. Das Kabel ermöglichte es dem Reichssender Berlin jedoch, noch bis zum 29. April sein Programm zum Sender in Hamburg zu schicken. Am 8. Mai kapitulierte das faschistische Deutschland endgültig. Doch sein Radio überlebte auch dieses Datum noch ein paar Tage: Bis zum 13. Mai sendete der „Reichssender Flensburg”, der der „Reichsregierung” unter Großadmiral Dönitz unterstellt war.

 

Musik von der Besatzungsmacht

3. Teil: Der Aufbau der Rundfunkgesellschaften nach 1945

Mit der Kapitulation des Deutschen Reiches gab es im Mai 1945 für den deutschsprachigen Rundfunk eine kurze Sendepause. Die Besatzungsmächte setzten allerdings schnell das Programm wieder in Gang. Bereits am 4. Mai meldete sich „Radio Hamburg, a station of the Allied Military Government” zu Wort, am 13. Mai ging im Auftrag der Roten Armee der „Berliner Rundfunk” auf Sendung. Nachdem der Krieg die Infrakstruktur hatte zusammenbrechen lassen, war der Rundfunk das einfachste Mittel, Anordnungen und Nachrichten schnell zu verbreiten.

Die Besatzungsmächte brachten in der Regel ihre eigenen Mitarbeiter mit, ergänzt von deutschen Emigranten. Das Programmangebot ließ allerdings noch längere Zeit zu wünschen übrig. Mangels einer Redaktion wurden beispielsweise in Berlin Artikel aus der „Prawda” übersetzt und verlesen. Nach der Aufbauphase durften zunehmend auch „unverdächtige” deutsche Mitarbeiter für die neuen Sender arbeiten. Dabei kamen auch im Westen oftmals Kommunisten zum Zuge – jedenfalls bis zum Frühjahr 1947 und dem Ausbruch des so genannten Kalten Krieges. Als sich die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Siegermächten verschärften, wurden im Westen viele Linke aus den Sendern entfernt. In Kölner NWDR wurden beispielsweise kommunistische Redakteure der ersten Stunde entlassen, darunter Karl Eduard von Schnitzler, der später mit dem „Schwarzen Kanal” im DDR-Fernsehen bekannt wurde.

Am stärksten prallten die Interessen der Siegermächte in Berlin aufeinander. Die Russen betrieben im Westsektor ihren „Berliner Rundfunk”, die Amerikaner sendeten ab dem 7. Februar 1946 mit dem RIAS (Radio Im Amerikanischen Sektor) dagegen an, die Briten verlegten im Juli 1947 eine Zweigstelle ihres NWDR nach Berlin.

Jede Besatzungsmacht prägte ihren Sender nach eigenen Vorstellungen: Die englische Militärregierung baute nach Vorbild der britischen BBC eine zentrale Rundfunkgesellschaft auf, den bereits erwähnten NWDR mit Standorten in Köln, Hamburg und Berlin. Die Amerikaner setzten auf Dezentralisierung sowie Unabhängigkeit und Staatsferne, was den ersten deutschen Nachkriegs-Politikern gar nicht gefiel. Die Franzosen orientierten sich an ihrem heimischen Regierungsrundfunk, was zentrale Leitung und strenge Zensur bedeutete.

Den neuen deutschen Politikern war das „bunte” Treiben nicht geheuer – sie waren schließlich noch mit dem stark staatlich geprägten Rundfunk der Weimarer Republik aufgewachsen. Sie kämpften bei den Besatzungsmächten darum, die Staatsferne der Medien wieder abzuschaffen. Hans Bausch, früher Intendant des Süddeutschen Rundfunks, erinnert sich: „In der Tat wollten die deutschen Politiker aller Parteien in den noch nicht völlig souveränen Parlamenten der Länder den Rundfunk als Staatsbesitz aus der Konkursmasse des Dritten Reiches retten” – ein Vorhaben, das nur der DDR-Regierung nachhaltig gelang. In den Westzonen konnte sich der politische Einfluss gegen die Besatzungsmächte nicht durchsetzen.

Ein Versuch, das widerspenstige Medium in den Griff zu kriegen, lief über die Post. Diese forderte ihre frühere Machtstellung zurück, denn zu Weimarer Zeiten hatte ihr neben den Sendeanlagen auch das Nachrichtenmonopol gehört. Die Militärbehörden verweigerten sich diesem Ansinnen, die Post wurde auf einen technischen Dienstleister zurückgestutzt.

Die Auseinandersetzung um den Rundfunk dauerte viele Jahre. Aus heutiger Sicht können wir es wohl als Glücksfall betrachten, dass sich die Rundfunkanstalten unter dem Schutz der Besatzungsmächte relativ frei entwickeln konnten und bis zum Jahr 1950 langsam zu „Arbeitsgemeinschaften der Rundfunkanstalten Deutschlands”, der ARD, zusammenwuchsen. Das Hineinregieren in Medienangelegenheiten – inzwischen in den Rundfunkanstalten wieder munter praktiziert – wäre sonst wahrscheilich schon viel weiter fortgeschritten.

Was freier Rundfunk leisten kann, bewieß etwa DT64 in den DDR-Wendejahren. Der ostdeutsche Sender war im Mai 1964 anlässlich eines ”Deutschlandtreffens„ der FDJ ausgestrahlt worden und erfreute sich beim jungen Publikum derartig großem Interesse, dass das Programm in den Dauerbetrieb überführt wurde.

Die Führung der DDR erhoffte sich über DT64 Einfluß auf die Jugend und wollte den Westsendern ein konkurrenzfähiges Produkt gegenüberstellen. Nach Jahrzehnten unter staatlicher Leitung schlug 1989 die große Stunde für den Sender, der die friedliche Revolution in der DDR begleitete und dokumentierte. Ausgiebig wurde von den Leipziger Montagsdemos berichtet, Bärbel Bohley vom „Neuen Forum” kam ins Studio. Der alten Leitung wurde im November 1989 das Mißtrauen ausgesprochen, der Sender kämpfte sich frei. Für eine kurze Zeit der Freiheit entstand ein mutiger, lebendiger Sender – zumindest, bis der DDR-Rundfunk in die ARD integriert wurde. 1992 verlor der Sender viele seiner alten DDR-Frequenzen, die Reste wurden in „MDR Sputnik” überführt und für lange Zeit auf die unbeliebte Mittelwelle abgedrängt.

Die heutigen öffentlich-rechtlichen Sender gehören theoretisch der Allgemeinheit. In den Rundfunkräten, die die Sender kontrollieren sollen, rangeln die Parteien in der Praxis um Macht und Posten. Der Hörer findet sich dagegen – spätestens seit der Zulassung privater Sender – immer stärker im Raster von umworbenen „Zielgruppen” wieder, die es zu besenden gilt. Paradox, dass er gleichzeitg wenig Einfluß auf das Programm nehmen kann.

Diesen Mißstand wollten seit Ende der 70er Jahre so genannte „freie Radios” aus dem links-alternativen Spektrum beheben, die meist als illegale Piratensender begannen. Mit einfachster Technik bastelten die Initiativen kleine UKW-Sender, die meist nur wenige Kilometer weit senden konnten und wegen ihrer unregelmäßigen Sendezeiten außerhalb der engeren Szene kaum Aufmerksamkeit erregten.

Immerhin wurde hier die Idee geboren, das Publikum sein eigenes Programm gestalten zu lassen. Mit den Jahren haben zahlreiche Bundesländer Bürgerradios und offene Kanäle für alternative Lokalmedien geöffnet. In Niedersachsen vergab man die Frequenzen etwas zaghaft als auf fünf Jahre befristete Projekte. Offenbar ist den Parteien noch immer nicht ganz wohl bei dem Gedanken, Medienmacht aus der Hand zu geben…

(Erschienen in „104 komma 6” in den Ausgaben September bis November 1998). Inhaltlich unverändert wurde der Text der neuen Rechtschreibung angepasst.