Dieser Text entstand für die Wochenzeitung „Die Woche”, dort leicht gekürzt erschienen am 23.4.1999. Aus heutiger Sicht ist das Thema eher schon ein Stückchen Technikgeschichte 😉

 

Blaue Laser könnten die Kapazität digitaler Speichermedien um ein Vielfaches steigern

Artikel in Die WocheWeltweit liefern sich die Entwicklungsabteilungen der Elektronik-Konzerne ein Wettrennen um die größten, schnellsten und preiswertesten digitalen Speicher. Disketten und Wechselplatten verschiedenster Bauart kämpfen mit CD- und DVD-Scheiben um den Standard der Zukunft. Physiker der Universität Mannheim entdeckten sogar in der Tesafilm-Rolle ein potentielles Speichermedium: Weil das Klebeband eine so fehlerfreie Transparenz besitzt, lassen sich auf eine 10-Meter-Rolle Schicht für Schicht bis zu 10 Gigabyte Daten auftragen. Eine Tesa-Rolle könnte also 15 CDs ersetzen.

Doch ob CD-ROM oder Tesafilm – sie alle werden mit roten Laserstrahlen beschrieben und wieder abgelesen. Den nächsten technologischen Sprung könnte es dagegen schon bald geben, wenn Schreib- und Lesegeräte mit blauem anstatt rotem Laserstrahl den Markt erobern. Der blaue Lichtstrahl läßt sich stärker bündeln, die Daten könnten dichter geschrieben werden. Wie wichtig die Bündelung des Lichts ist, zeigt schon der kleine, aber wesentliche Unterschied zwischen CD und DVD. Infrarotlaser in herkömmlichen CD-ROM-Laufwerken arbeiten mit einem vergleichsweise „breiten” Laserstrahl von 780 Nanometer Wellenlänge. Für die DVD-Technik konnte der Laser auf nur 640 Nanometer konzentriert werden. Dadurch wird es möglich, auch kürzere Datenspuren zu lesen: Statt mindestens 0,83 Mikrometer (µm) muß eine Information nur noch 0,4 µm lang sein. Der Abstand zwischen den Rillen muß nur 0,74 µm anstatt 1,6 µm betragen, um den Laserstrahl noch in der Spur zu halten. Ist auf der CD-ROM bei 650 Megabyte Schluß, so faßt eine einseitig beschriebene DVD schon bis zu 4,7 Gigabyte. Durch den Einsatz blauer Laser mit nur 400 Nanometer Wellenlänge ließe sich die Kapazität weiter verdichten und auf 15 Gigabyte erhöhen.

Das blaue Wunder scheiterte jedoch lange Zeit an Materialproblemen. Weltweit experimentierten die Physiker schon seit über zwanzig Jahren mit Halbleiterlasern, die auf der Basis von Zinkselenid gefertigt wurden. Kristalle aus Zinkselenid besitzen zwar gute optische Eigenschaften, konnten bis Mitte der 90er Jahre aber nur unter Laborbedingungen eingesetzt werden. Flüssiger Stickstoff mußte den Laser auf minus 196 Grad Celsius abkühlen, damit ein nur Sekunden anhaltender blauer Lichtstrahl erzeugt werden konnte. Mikroskopisch kleine Materialfehler verstärkten sich unter der Wärme so stark, dass die Halbleiterkristalle schon nach kurzem Betrieb „erblindeten”. Erst 1995 schafften Entwickler von Sony den Durchbruch und brachten einen blauen Laser für eineinhalb Stunden zum Leuchten. Später steigerten sie die Lebensdauer des Lasers auf 400 Stunden.

Die Nase vorn hat allerdings die mittelständische japanische Chemiefirma Nichia Chemical Industries. Nichia ist bereits seit 1995 Marktführer bei der kommerziellen Herstellung ultraheller blauer und grüner Leuchtdioden. Ihr Forschungsleiter Shuji Nakamura experimentierte seit Mitte der 90er Jahre mit Galliumnitrid anstelle des Zinkselenids. Das Material reagiert weniger empfindlich auf Wärme und strahlt Licht aus, dessen Wellenlänge die japanischen Entwickler unter Laborbedingungen auf nur 390 Nanometer bündeln konnten. Allerdings suchten die Forscher lange Zeit vergeblich nach geeigneten Substanzen für die sogenannte Dotierung, die gezielte „Verunreinigung” des Materials, mit der die Laser-Wirkung verstärkt werden kann. Ungeklärt war auch, wie die Nitride auf einem Trägermaterial aufgebracht werden konnten, ohne dass sich schnell Risse bildeten. Beide Probleme hat Nakamura in den Griff bekommen. Im Frühjahr letzten Jahres gab Nichia bekannt, der erste Prototyp des blauen Lasers habe eine Lebensdauer von 10.000 Stunden erreicht. Damit scheint die Technik erstmals marktreif entwickelt, entsprechende Geräte hat Nichia für das zweite Halbjahr 99 angekündigt.

Prof. Dr. Jürgen Gutowski von der Universität Bremen hält dieses Datum für realistisch. Zusammen mit Prof. Dr. Detlef Hommel hat er am Institut für Festkörperphysik blaue Laser sowohl auf Zinkselenid- wie auf Galliumnitrid-Basis gebaut. Die Laser der Bremer Forscher geben aber schon nach Minuten ihren Geist auf. Dies liege am schwierigen Mischungsverhältnis von Galliumnitirid mit dem Metall Indium, erklärt Gutowski: „Man muss viel Indium verwenden, aber ab einem Anteil von zehn bis zwölf Prozent Indium im Gallium entstehen Cluster.” Die japanischen Forscher konnten das Problem der Klümpchenbildung offenbar lösen, wie sich Gutowski vor Ort überzeugt hat. Den Deutschen dagegen sind in diesem Feld schon aus Kostengründen Grenzen gesetzt, denn finanziert wird die Grundlagenforschung ausschließlich aus öffentlichen Mitteln. Gutowski bedauert, dass die deutsche Industrie – „weltführend ist die nicht gerade” -, die Laserfrage völlig vernachlässigt. Dabei bieten sich grüne und blaue Laser auch außerhalb der Unterhaltungselektronik für eine Vielzahl von Anwendungen an: In der Analytik werden zunehmend optische Fluoreszenzverfahren eingesetzt, um beispielsweise Umweltverschmutzungen nachzuweisen. Kurzwelliges Laserlicht wäre besonders gut geeignet, die Konzentration von Ozon und Kohlenwasserstoffen zu messen. Scanner an Supermarkt-Kassen könnten mit Hilfe blau-grüner Laser die Barcodes auf farbigen Verpackungen besser erkennen. Abstandsmess- und Regelsysteme für den Straßenverkehr wären auf blau-grüner Basis wesentlich zuverlässiger. Und das Laserfernsehen, das eines Tages Bilder in Kinoqualität auf die häusliche Projektionswand strahlen könnte, ist ohne einen zuverlässigen blauen Laser nicht denkbar.

Doch gerade in der Unterhaltungselektronik „hat der Druck, blaue Laser entwickeln zu müssen, nachgelassen”, glaubt der Würzburger Physiker Prof. Dr. Wolfgang Faschinger. Faschinger und Kollegen vom Physikalischen Institut der Universität Würzburg experimentieren seit Jahren mit blauen Lasern auf Zinkselenid-Basis. Der Forscher meint, die derzeit nötigen Speicherkapazitäten ließen sich noch durch die Weiterentwicklung der DVD-Scheibe erzielen. So kann das Medium beispielsweise mit einer zweiten Schicht überzogen werden, die halbdurchlässig ist. Der Laser kann beide Schichten durch die selbe Optik abtasten, er muss nur jeweils auf die obere oder untere Schicht fokusiert werden. Weil die DVD wie eine Langspielplatte doppelseitig beschrieben werden kann, sind bis zu 17 Gigabyte Daten unterzubringen.

In den USA beginnt sich der DVD-Player mit herkömmlichem roten Laser gerade zu etablieren. Bei uns, so hofft die Industrie, werden sie mit Verzögerung ebenfalls einen Siegeszug antreten. Die Hersteller könnten geneigt sein, das Auftauchen von blauen Lasern zu verzögern, glaubt Faschinger. In der Regel setzt die Industrie auf Produktzyklen von zehn Jahren, bevor sie die nächste technische „Revolution” ausruft. Der Bremer Forscher Gutowski rechnet dagegen mit einem früheren Erfolg des blauen Lasers: „Ich würde es mir derzeit schon zweimal überlegen, ob die Anschaffung eines aktuellen DVD-Gerätes sinnvoll ist.”