RFID-Technologie: Neuartige Transponder könnten die Arbeit von Polizei und Notfalleinsatzkräften nachhaltig erleichtern.

Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift “gefährliche ladung” 2/2011.

Gegen 9.30 Uhr wird es voll auf dem Parkplatz Dreilinden. Die Zollstation, zur Zeit der deutschen Teilung ein Anlaufpunkt für den innerdeutschen Grenzverkehr, schlummert in der Regel vor sich hin. Doch an diesem Morgen im August hat die Berliner Polizei gerade drei LKW, zwei Kleintransporter und einen Reisebus aus dem Autobahnverkehr gefischt. Drei Stunden lang werden immer wieder Fahrzeuge auf ihren technischen Zustand überprüft, bei LKWs und Transportern wird zusätzlich die Ladung kontrolliert.

mario_gaede_2 Eine besondere Rolle bei den Routinekontrollen kommt Polizeihauptkommissar Mario Gaede und seinem Kollegen Polizeioberkommissar Burkhard Köhler zu. Die beiden sind mit dem Gefahrgutwagen der Berliner Polizei vor Ort. Sie picken sich jene Fahrzeuge zur Überprüfung heraus, die sichtlich Gefahrgut geladen haben oder bei denen der Verdacht besteht, dass sie solches ohne Kennzeichnung transportieren. Ihr Fahrzeug hat Spezialwerkzeug und Messtechnik an Bord, darunter u.a. ein Explosimeter zur Warnung vor gefährlichen Gasen und ein Dosisleistungsmesser zur Überprüfung radioaktiver Versandstücke. Zudem hält der Wagen Schutzausrüstungen für zwei Personen bereit, die im Zweifelsfall vor den gröbsten Gefahren bewahren sollen, bis Verstärkung von der Feuerwehr eintrifft.

Mario Gaede am Gefahrgutwagen der Berliner Polizei

Spektakuläre Fälle, wie etwa die Sperrung des ganzen Parkplatzes wegen auslaufender gefährlicher Flüssigkeit aus einem undichten Tankwagen, sind selten in Berlin. Es finden sich allerdings laut Gaede bei 50 bis 70 Prozent der Überprüfungen Mängel an Fahrzeug und Ausrüstung oder Verstöße gegen das Gefahrgutrecht. Am häufigsten stößt er auf mangelnde Ladungssicherung, gefolgt von unvollständigen Papieren und der Verwendung nicht mehr zulässiger Verpackungen. Die Verstöße ziehen Bußgelder von durchschnittlich drei- bis vierhundert Euro nach sich.

Einen ganz typischen Fall gibt es auch an diesem Morgen: Einer der drei Einsatzwagen der Polizei hat einen Kleintransporter auf den Parkplatz geleitet, der laut Warntafel Explosivstoffe transportiert. Den Papieren zufolge hat der Fahrer, ein hauptberuflicher Feuerwerker, seine ADR-Bescheinigung gerade frisch verlängert bekommen. Ein Blick auf die Ladefläche zeigt dann, dass dort die verschiedensten Kartons mit chinesischem Feuerwerk ungesichert lose übereinander liegen. Das Sichern mit Gurten wäre sehr zeitraubend und könnte zudem die Kartons beschädigen, erklärt der Fahrer, weiß aber wohl schon, dass er heute nicht ohne Bußgeld davon kommt. Gaede dokumentiert den Zustand der Ladung mit Beweisfotos; ein- bis zweihundert Euro wird der Feuerwerker später zahlen müssen.

Kontrolle eines TransportersKontrolle des Feuerwerk-Transporters

Im Jahr 2009 kontrollierte die Berliner Polizei insgesamt 300 Gefahrguttransporte, dabei wurden 176 Fahrzeuge beanstandet. Weil häufig zusätzlich verantwortliche Personen belangt wurden, kam es zu 212 Anzeigen.

Gerade kleinere Transporteure und Kurierfahrer nehmen es mit der Ladungssicherung nicht so genau, sagt Gaede. Der Zeitdruck und die Vielzahl verschiedener Verpackungen machen es den Fahrern schwer, ihre Fahrzeuge vorschriftsmäßig zu packen. So werden etwa Richtungspfeile gern ignoriert, wenn Kartons in die Lücken eigentlich voller Ladeflächen gequetscht werden. „Wir haben einmal einen Kurierfahrer verpflichtet, seinen Wagen hier auf dem Parkplatz komplett neu zu packen”, erzählt Gaede; „zum Schluss blieben zehn Pakete übrig, die bei vorschriftsmäßiger Ladung eigentlich gar nicht mehr hinein gepasst hätten.”

Eine weitere Standardsituation ergibt sich bei einem Berliner LKW, der eine gemischte Ladung transportiert. Darunter befindet sich auch ein kleines Versandstück mit Gefahrgut – laut Begleitpapieren ein entzündlicher Stoff, der zudem mit Wasser reagiert. Die Paletten auf der Ladefläche sind korrekt gesichert, doch auf welcher sich der Gefahrstoff befindet, kann Gaede bei der Kontrolle nicht feststellen. Der Fahrer weiß nach eigener Aussage auch nicht mehr, wo was genau liegt. Im Brandfall könnte die fehlende Information die Feuerwehr gefährden, ärgert sich Gaede. Aber weil kein Verdacht auf unsachgemäße Verladung besteht und die Papiere in Ordnung sind, lässt er den LKW fahren.

Fälle wie dieser interessieren Alexander Pettelkau besonders. Der Diplom-Ingenieur der BAM Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung ist vor Ort, um einen Vormittag lang die Arbeit der Kontrolleure Gaede und Köhler zu begleiten. Pettelkau arbeitet im Forschungsprojekt SIGRID an einer neuen Generation aktiver RFID-Transponder (kurz Tags), die Gefahrguttransporte sicherer machen soll.

RFID-Tags (die Abkürzung steht für „radio-frequency identification”) haben den Vorteil, berührungsfrei aus einiger Entfernung ausgelesen werden zu können. Mit einem Scanner soll künftig ablesbar sein, welche Fracht auf einem Gefahrguttransporter unterwegs ist. Der von der BAM entwickelte RFID-Tag ist dafür mit einer langlebigen Batterie ausgestattet, kann auch noch aus acht Metern Entfernung aus dem Ruhemodus „aufgeweckt” werden und sendet dann innerhalb weniger Sekunden bis zu einem Megabyte Daten – ein Vielfaches herkömmlicher passiver Tags. So wären u.a. Detailinformationen wie etwa der Füllstand bei Flüssigkeiten speicher- und abfragbar. Bei Unfällen könnten Sensoren auf dem Tag erfassen, ob Flüssigkeit oder Gas austritt. Ein weiterer Sensor könnte Temperaturwechsel erfassen und den Rettungskräften so aus sicherer Entfernung Hinweise auf einen möglichen Brand liefern.

Aber auch im Normalbetrieb erhielten Versender und Spediteure mit den speziellen RFID-Tags neue Möglichkeiten: Bei der Beladung könnte automatisch vor unerlaubter Zusammenstellung gewarnt und die gesamte Transportkette lückenlos überwacht werden. Dafür erhalten die Tags über die On-Board-Unit des LKWs einen automatischen Zugriff auf Informationen der „Datenbank GEFAHRGUT” der BAM. Diese Datenbank liefert komprimierte Informationen aus den einschlägigen Gefahrgutvorschriften und verknüpft sie mit physikalisch-chemischen Stoffdaten.

„Das Ziel der BAM ist es, sowohl den Versendern und Spediteuren die Arbeit mit Gefahrgut zu erleichtern, als auch die Kontrollen zu vereinfachen”, erklärt Pettelkau. Sein RFID-Projekt ist auf einen Forschungszeitraum von zwei Jahren ausgelegt und wird von der BAM-Innovationsoffensive gefördert.

Gaede fände eine solche Technik hilfreich, auch wenn Pettelkau einschränkt, die genaue Lage eines Versandstücks auf der Ladefläche sei mit der eingesetzten Technologie noch nicht von einem einzelnen Scanner allein zu ermitteln.

Doch schon das „normale” Auslesen der Daten per Scanner könnte polizeiliche Kontrollen beschleunigen. So etwa bei einem weiteren LKW an diesem Morgen, der eine Mischladung aus Fässern und Kombinations-IBC geladen hat. In den Frachtunterlagen ist nur allgemein von Farben die Rede – eine „unbefriedigende Papierlage”, findet Gaede. Die Beschriftung der IBC ist von der Laderampe aus nicht zu lesen, auch das Klettern über die Behälter liefert Gaede keine Informationen. Erst als der Fahrer die Seitenplanen hochschlägt und die Kennzeichnung an den Seiten der IBC sichtbar wird, kann der Polizist feststellen, dass die Fracht aus harmloser Betonfarbe besteht.

Kontrolle eiens LKWsEntwarnung: Hier wird nur harmlose Farbe transportiert.

Damit könnte der polnische LKW seine Reise fortsetzen, wäre da nicht die hintere linke Bremse, die ununterbrochen Druckluft verliert. Gaede zieht den Fahrzeugschein ein und bestimmt, dass die Bremse noch in Berlin repariert werden muss. Bestätigt eine Werkstatt die Reparatur, kann sich der Fahrer seine Papiere bei der Autobahnpolizei abholen.

Besonders vorsichtig werden die Polizisten, wenn Frachtcontainer zu begutachten sind. „Mein erster Blick richtet sich immer auf die Lüftungsschlitze”, sagt Gaede. Seien diese verklebt, weise das auf eine Begasung mit Schädlingsbekämpfungsmitteln hin. Speziell bei Containern aus Fernost kommt eine solche Behandlung häufig vor; die Begehung betroffener Container ohne Atemschutz kann schnell gesundheitliche Schäden nach sich ziehen.

Seit zwanzig Jahren ist Gaede mit der Kontrolle gefährlicher Fracht betraut. „Das Gefahrgutrecht ist einfacher geworden”, urteilt er rückblickend. Aber auch heute noch „haben die Fahrer einen hohen Wissensbedarf”, hat der Polizist beobachtet und nimmt sich mit seinem Kollegen Köhler daher bei Bedarf die Zeit für einen kleinen „Lehrgang” vor Ort.

Besonders knifflige Fragen führen Gaede regelmäßig in die BAM – etwa dann, wenn Verwender einzelne Verpackungen und LKW-Aufbauten in Eigenbau gefertigt haben und fraglich ist, ob die Konstruktionen zulässig sind. In der Fachgruppe III.1 für Gefahrgutverpackungen ist man für derartige Kontakte dankbar, weil die Berichte aus der Praxis helfen, das Gefahrgutrecht weiter zu entwickeln und Anregungen für Forschungsprojekte liefern. So entstand nicht zuletzt auch das laufende RFID-Projekt, welches den Arbeitsalltag der Polizisten in nicht allzu ferner Zukunft deutlich erleichtern könnte.

Zum Thema:
Ladungssicherung bei der BAM
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